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Von Städteplanung und Sündenböcken

Aktualisiert: 18. Apr. 2023

Der Kulturkampf ums Auto wurde in den zunehmend fader werdenden Stadtzentren von unkreativen Politikern und meinungstarken Medien längst ausgerufen, um endlich ein Bauernopfer für gescheiterte Stadtplanung und maroden ÖPNV ins Rampenlicht zerren zu können. Wo mit Fahrverboten und Rückbau von Parkplätzen begonnen wird, bevor für hochfrequente und barrierefreie Erreichbarkeit (auch aus Vorort und Umland) durch Bus und Bahn gesorgt ist, bleiben eben meist nur Nagelstudio und Wettbüro. Einzelhandelsgeschäfte mit teilweise über hundertjähriger Tradition überlebten zwei Weltkriege, nur um am Ende an der ideologischen Symbolpolitik befangener Bezirksverantwortlicher zu scheitern, deren Phantasie selten überhaupt bis zur Zentrumsgrenze, ganz sicher aber nicht in die Außengebiete reicht. Kulturschaffende und Clubbetreiber suchen händeringend Ausweichobjekte, weil sie zwar der Coronapandemie strotzen konnten, jedoch dem spröden Zivilisationsverständnis blutleerer Bauministerien erlagen, die einen Abriss nach dem andren zugunsten des nächsten Bürokomplexes mit anschließend 50% Leerstand absegneten, und deren Schöpfergeist irgendwo auf den Tupperpartys der 80er zurückblieb. Ambiente und Flair weichen immer häufiger beliebiger Großveranstaltungen willkürlicher Querdenker oder Friedensesoteriker mit Trillerpfeife und Autoritärer Ideologie. Vom Internethandel bereits besiegte Kaufhausketten und angezählte Elektronikmärkte mit ihren bis zum Gewebe durchgewichsten Vorwerkteppich-Landschaften und der Kundenorientierung einer Bahnhofstoilette, ergänzen, mit den baulichen Maßnahmen zur Vermeidung von Obdachlosen, Jugendlichen oder Stadttauben, die Kette an Verfehlungen.

Für die Weltanschauung verträumter Neu-Kreuzberger funktioniert das Auto als Sündenbock ideal. Einen Führerschein haben sie meist eh nicht. Und glaubt man den aktuellen Talk-Shows, so verbindet heute eh kein Mensch mehr das Auto mit seinem Freiheitsgefühl. Die Jugend schon gar nicht. Das gehört scheinbar in eine Zeit in der Til Schweiger noch kultige Manta Filme drehte. Lange her also. Nach zwei, drei Jahren Pandemie scheinen plötzlich alle zu denken, dass die Kids sowieso am liebsten mit ihrem Smartphone zuhause abhängen. Festival-Sommer? Road-Trip an die Atlantikküste? Oder einfach mal spontan nicht in der Dorfkneipe von Hinterbummelsdorf, sondern in einen Club in der Stadt einkehren? Braucht angeblich kein Mensch mit FaceTime Chat und Tiktok App. Doch während der alternde Birkenstock-Deutsche sich plötzlich wieder ganz jugendlich und progressiv fühlt, während er sich in seiner neu entdeckten Wokeness motiviert gegen das Auto positioniert, wird der Nachwuchs in den migrantischen Communities möglichst früh auf Führerschein und Balkanroute gepolt. Wie auch sonst soll regelmäßig das Land der Großeltern besucht werden?


Auch wenn die Vorstellungskraft selten aus dem Kiez der Wickelhosenträgerin mit dem Selbstversorger-Balkon Projekt, oder der Reihenhaussiedlung des Liegefahrradfahrers im Jack Wolfskin-Kombi hinausreicht, gibt es jenseits dieser auf reine Funktionalität gepolten Geistesrichtung auch heute noch echte Ästheten, die sich nach harter Arbeit gerne mal lustvoll dem Konsum ergeben, ohne schlechtes Gewissen ein Steak grillen oder sich von jedem Kilometer im klassischen Sportcoupe entzücken lassen. Gerade in Zeiten wie diesen, müssen manche Dinge nicht einfach nur eigenschaftslos funktionieren, sondern vor allem auch Spaß machen und schön sein.

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