Deutsche Innenstädte werden immer voller. Schlimmer noch. Denn tatsächlich verbringt der Durchschnittsdeutsche mehr Zeit im Stau, als beim Beischlaf mit Ehepartner oder Lebensgefährtin. Gut, nun wissen wir ja alle, dass das Land der Birkenstocksandale und des Seitenbacher Müsli außerhalb des katholischen Erzbistums nicht unbedingt für seine sexuelle Aktivität berühmt ist. Doch schaut man in die regionalen Gefilde, stellt man schnell fest, dass der Stuttgarter beispielsweise jährlich deutlich länger im Berufsverkehr steckt als er Zeit aufwendet seine Hofeinfahrt zu fegen und die Bio-Tonne auszukärchern, während der Berliner durchschnittlich länger in der roten Welle verzweifelt, als in der Warteschlange vorm Berghain anzustehen. Und spätestens jetzt wird deutlich: Wo diverse Bürger-Initiativen und so manch ein Politiker in den Großstädten seit Jahren um Aufmerksamkeit bitten, dürfte es leibhaftig ein Problem geben.
In Deutschland gibt es über 58 Millionen Fahrzeuge. Und die meiste Zeit stehen sie. Entweder im Stau oder noch ungenutzter in Straßen, vor Wohnhäusern, in ausgewiesenen Parkzonen... In Berlin sind das laut Bild.de beispielsweise fast 3000 Hektar, sprich mehr als 4100 Fußballfelder. Doch das reicht längst nicht aus. Die Autos stehen auch in zweiter Reihe, in Ladezonen, in Feuergassen und auf Radwegen. Ein kurzer Abgleich mit dem aktuellen Produkt-Portfolio der Automobilhersteller zeigt: Es gibt schönere Anblicke. Und wo im Straßenverkehr das Aggressions-Level längst das Niveau von Facebook-Kommentarspalten und Twitter-Timelines gesprengt hat, sind sich alle einig: Es herrscht Krieg auf Deutschlands Innenstadt-Straßen. Wer seine Zwillinge mit dem Berlingo vom West- in den Ost-Bezirk in die Kita chauffiert, wird häufiger als Hurensohn bezeichnet als die Battle-Teilnehmer von Rap am Mittwoch einst. Davor kann kein noch so modernes Lebenskonzept im Generationenhaus mit Bienenfarm und Pak Choi-Zucht auf dem Gemeinschafts-Balkon bewahren. Wer die selbe Strecke mit dem Fahrrad zurücklegen will, überlegt sich jeden Morgen auf´s Neue, ob nicht ein beherzter Sprung aus dem sechsten Stock einem möglichen qualvollen Leiden zwischen LKW-Flanke und Hauswand vorzuziehen sei. Und der Fußgänger? Ja der ist längst gesprungen. Auf dieser emotionalen Ebene wird seither die Debatte um den öffentlichen Raum geführt. Aktions-Bündnisse stellen Parkraum mit selbst gebauten “Sitzecken“ – auf denen sich in etwa so gut entspannen lässt, wie in einer vollbesetzten gemischten Sauna – oder mit von vornherein zum austrocknen verurteilter Hochbeete zu. Das sieht dann zwar genauso scheiße aus wie vorher, aber es parkt halt kein Auto mehr dort. Der Autofahrer seinerseits zeigt sich verständnislos und uneinsichtig. Jeder begründet Anspruch. Motiviert durch Gewohnheitsrecht auf der einen und moralischer Arroganz auf der anderen Seite. Konstruktive Vorschläge und sachliche Diskussionskultur glänzen durch Abwesenheit, während längst auch die Politik mit taktischer Diktion und leicht verständlichen Feindbildern in die Schlacht gezogen ist. Der männliche Dienstwagenfahrer, seither vielerorts zitiert, steht nun im Scheinwerferlicht. Womit der komplexe Sachverhalt des begrenzten Raumes mit geschickter Rhetorik banalisiert wird. Und ist es wirklich sachdienlich, vor dem Hintergrund, dass bereits das kleine süße Gendersternchen ernsthaftes Bürgerkriegs-Potential hat, eine überfällige Modernisierung der Stadtkerne als gendergerechte Verkehrsplanung zu betiteln? Oder werden möglicherweise bewusste Trigger für den Wahlkampf gesetzt? Nun ist das Problem allerdings etwas verzwickter als sich zielgruppenwirksam auf 280 Zeichen bei Twitter wüten lässt. Eine seit Jahrzehnten auf dem Automobil basierende Infrastruktur lässt sich nicht mit dem Holzhammer neu erfinden. Ich hoffe auf eine schöpferische Debatte und grüne Stadtkerne, in denen neben Fuß und Radwegen auch ein effizienter Lieferverkehr, emissionslose Taxis und im besten Fall eine neue Generation formschöner Stadtflitzer ihren Platz finden.
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