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Auslaufmodell Individualverkehr?

Aktualisiert: 11. Dez. 2023

Vor vier Wochen hat das spanische Parlament sein neues Energiewendegesetz verabschiedet. Wie unter anderem der Spiegel berichtete, soll demnach ab 2040 der Verkauf von neuen Diesel- und Benzinautos untersagt sein. Viel wichtiger jedoch: Schon zehn Jahre später dürfen auch bereits zugelassene nicht mehr auf die Straße.

In Anbetracht nach wie vor hoher Umfragewerte für die Grünen im Jahr der Bundestagswahl kann dem Liebhaber automobilen Kulturguts hierzulande schon etwas mulmig in der Gasfußgegend werden. Doch auch für den Sympathisanten des ganz herkömmlichen, nicht weiter emotionalisierten Individualverkehrs könnten bald die Sonnenblumen am Horizont verwelken. Denn am meisten CO2 entsteht nach wie vor bei der Stromerzeugung. Und nach dem (von den Grünen beschleunigten) Atomausstieg 2022 könnte der Anteil nochmal steigen. Wer also nicht im (ginge es nach Anton Hofreiter, längst angezählten) Eigenheim mit Fotovoltaik-Dach residiert, wird sein Tesla Model S auch künftig noch mit dem rußigen Mix von E.ON, RWE und Co tanken und damit bis auf weiteres einen vergleichsweise stämmigen Fußabdruck im irritierten Mulch unseres Globus hinterlassen.


Laut dem Weltbild durchgestylter Öko-Hipster wohnen moderne Menschen allerdings in der Stadt und fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und hier soll ja künftig auch richtig investiert werden. Problem gelöst, oder?


Doch nicht nur Autonomie lebende Liberalisten wissen: Auch eine modernisierte Gemeinschafts-Sanitäranlage bleibt eine Gemeinschaft-Sanitäranlage. Und diese thront in der Ekel-Hierachie, je nach Luftfeuchtigkeit und Darmflora ihrer Nutzer, mal knapp vor und mal knapp hinter S7 und U5. Nicht jede Seele ist dafür gemacht, ihren täglichen Berufsweg mit dem Lebensgefühl aus echtem Kommune1 Purismus zu begehen. In einer Atmosphäre zwischen Döner-Attentat und lebendiger Live-Performance orientierungsloser Festzelt-Heimkehrer kann man einen Menschen brechen. Um nicht immer den echten Verkehrswende-Verlierer im abgehängten ländlichen Raum in die Diskussion zu zerren. Wobei dieser, allen voran, dort natürlich hingehört.



Nach der anhaltend positiven Berichterstattung über den reibungslosen K-Frage Entscheid der Grünen und die vorbildliche Einheit der Parteispitze, droht die Stimmung bei den Verfechtern einer Mobilität unter Beibehaltung der Privatsphäre zu kippen. Andererseits war klar: Früher oder später würde irgendjemand schon noch den Negativtrend einläuten. Überraschenderweise war es nicht Anton Hofreiter sondern der Oberbürgermeister einer urschwäbischen Mittelstadt. Der berüchtigte Partei-Querulant und – neben Thomas Gottschalk, Harald Schmidt oder Karl Lauterbach – bekannte TV-Entertainer Boris Palmer hielt der Partei Anfang Mai, während seiner nicht ungeteilten Kritik an den Kollegen im Umgang mit Cancel Culture, medinenwirksam den Fußballer-Pimmel, pardon, den Spiegel vors Gesicht. Was einerseits ein Parteiausschlussverfahren für Palmer und andererseits einen klassischen Lose-Lose Patt für die Grünen zur Folge hatte. “Quod erat demonstrandum“ wird sich das 18jährige Boris-Palmer-Ich gegrinst haben.

Kurz darauf ist es dann Annalena Baerbock selbst, die den neuen Trend beschleunigt. Während die Medienwelt nun endlich schmutzige Wäsche wittert und Wahlkampf-typisch die Fährte mit den klassischen Verfehlungen aus Lebenslauf- und Finanzthemen spickt, wird die Parteichefin – zeitlich eher ungeschickt – nun zum ersten mal richtig konkret in ihrem Wahlkampf. Selbstbewusst präsentierte Baerbock jüngst das grüne Kraftstoffpreis-Szenario und schenkte der Republik damit ein unbezahlbaren deja-vu-Moment, in welchem der berühmt-berüchtigte “Fünf-Mark-Beschluss“ von 1998 die Grünen in der öffentlichen Wahrnehmung einst zu den Zeiten ihres politischen Fundamentalismus zurückversetzte.



Bleibt die Frage warum es die Umweltpartei eigentlich so sehr auf den privaten Autofahrer abgesehen hat. Denn wann immer die Politik versucht, ihren Wählern komplexe Situationen mit einfachen Feindbildern zu erklären, sind die Alarmglocken der Bürger gefragt. Wo Donald Trump das Bild von gesichts-tätowierten Kartellkillern aus Mexiko zeichnet oder Björn Höcke vor bombenbegürtelten Dschihad-Kriegern aus Kabul warnt, könnten bald auch ungewöhnliche Zeiten für Achim und Stefan anbrechen. Rosa Teint und gepflegte Daddy-Plauze reichen mancherorts bereits heute um wegen Mettbrötchen-Konsum und Ford Mondeo-Besitz vorverurteilt zu werden. Es scheint als erlebt die gemeine Kartoffel unter der Klima-Bewegung die nächste Renaissance. Auch wenn man den Beteiligten, in Anbetracht von Jack&Jones Shirt und bunter Dreiviertel-Shorts, fast ein wenig der verruchten Aura gönnen möchte, wäre eine Debatte auf Augenhöhe vermutlich zielführender. Dazu gehört einerseits, anzuerkennen, dass die Grünen nicht die Einzigen sind, die an der Kraftstoffpreis-Schraube drehen werden und andererseits im Blick zu behalten, dass es wohl bessere Instrumente für den Klimaschutz gibt. Die Mobilität, wie wir sie heute kennen, schenkt uns nicht nur eine fast grenzenlose Freiheit, sondern hierzulande auch einen Großteil unseren Reichtums. Ein Reichtum, der auch nötig sein wird um die Klima-Krise zu bewältigen.

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