Im spannendsten Wahlkampf seit Kohl vs. Schröder sind die drei auserwählten Wackelkandidaten von Union, SPD und Grüne nun tatsächlich dabei auf die Zielgerade zu stolpern. Während Armin Laschets größter Feind unverändert Armin Laschet ist, behindert sich längst auch Annalena Baerbock konsequent und erfolgreich selbst. Und wo sogar nach der schrecklichen Flutkatastrophe der Hashtag #arminlacht besser trendet als #klimawahl, und der schlichte Zivilist sich lieber über den Altkanzler und die Wolfsburger Currywurst-Situation als zum brennenden Südeuropa den Kopf zerbricht, ist eines längst klar: Es wird auch weiterhin inhaltsleer bleiben. Womit wir ohne Umschweife bei Olaf Scholz angekommen sind, welcher inzwischen – offensichtlich ganz aus versehen – die Umfragen anführt. Wie ein vergessenes Kännchen Milch, im Kühlschrank vormals ganz nach hinten gewandert, zwischenzeitlich unbemerkt eine möglicherweise verwertbare Schimmelkolonie angesetzt hat. Dass er weder bei Wirecard noch bei Cum Ex den Durchblick hatte, macht ihn am Ende doch nur sympathisch. Ging uns doch allen so. Die SPD – nach all den Jahren mal wieder spürbar dran am simplen Proletariat. Tatsächlich dürfte Olaf Scholz inzwischen sogar mit dem Gedanken spielen, sein Kreuzchen diesmal nicht bei der CDU zu setzten. Wo deren Strategie aktuell darin besteht, aufzuzeigen, was andere Parteien alles falsch machen, hat sich die SPD indes also das Konzept Laschet angeeignet: Aussitzen bis es sich von alleine regelt.
Was aber machen die Grünen nun? Jetzt, wo die Kernkompetenz des Bündnisses mit der Sonnenblume aktuell keine der bitter notwendigen Wechselwähler ins ökologische Lager zu holen vermag. Jetzt, wo Verzicht- und Solidaritätsbereitschaft der Bürger nach achtzehn Monaten Pandemie Richtung Nullpunkt zu bröckeln scheinen. Jetzt, wo die Parteiradikalen Anton Hofreiter und Boris Palmer zwar erfolgreich ruhig gestellt wirken, die Umfragewerte aber dennoch ungehalten weiter nach unten purzeln. Nun, da ist es an der Zeit für ein Geschenk an die treue Stammwählerschaft. Zeit für ein paar Highlights aus der Pralinenschachtel der Klientelpolitik. Mit dem gesungenen Wahlwerbespot, dessen Fremdschamlevel sich stabil zwischen christlichem Deutschrap und Rügenwalder Schinkenspicker Werbung aus den Neunzigern einpegelt, nebst dem Taktgefühl verschwörungsesoterischer Friedensbewegungen, deren Mitglieder auf Coronademos ihren Namen tanzen, sich bestenfalls noch ein paar christdemokratische Best-Ager aus Baden-Würtemberg abfischen lassen könnten, ist der bunte Kuriositätenstrauß lange noch nicht abgeblüht.
Und so polarisiert die Ankündigung, privat genutzte Lastenfahrräder mit 1000 Euro staatlicher Förderung zu bezuschussen, wie einst die emotional umkämpften Dieselfahrverbote. Eine Milliarde Euro möchte Annalena von Vater Staat dafür abzapfen. Es drängt sich ein Gedanke auf: Könnte man das Geld genauso gut auch Andy Scheuer überlassen?
Wo Sidecut-Silke und Leica-Leif im urbanen Gemeinschaftswohnkonzept mit weitläufiger Fahrradgarage vorm kollektiven Kohlrabi-Hochbeet begeistert die Club Mate Kronen fliegen und dampfende Grüntee-Lavendel Mischung in handgetöpferte Tonbecher spritzen lassen, bleiben nicht nur in den prekären Ballungsräumen von Pforzheim-Oststadt bis Hamburg-Eidelstedt verwunderte Gesichter zurück.
Einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende sollen die schnittigen Cargobikes leisten. Den Transport von großen Einkäufen und kleinen Menschen ermöglichen. Das Auto ersetzen. Pflegedienstleister und Handwerkerin können nun endlich den ungeliebten Kleinbus stehen lassen, malt man sich in der regen- und windgeschützten Parteizentrale aus. Was ein Fest.
Zugegeben, beim Gedanken an Sanitär-Büsken aus Essen-Katernberg, der fortan nach Fischlaken rausschlenkert, die Bildzeitung in der Latztasche und das Frika Brötchen im Werchzeuchkasten neben dem Abflusspümpel in der Buchenfurnier-Transportbox, zaubert mir tatsächlich ein Schmunzeln ins Gesicht. Wenn der aber vor Ort feststellt dass das 15er Eckventil offenbar noch am anderen Ende der Stadt auf der Werkbank liegen dürfte, möchte ich auch nicht in der Nähe stehen.
Auf den ersten Blick scheint das Lastenrad so eine Art Mercedes G-Klasse unter den Fahrrädern zu sein. Für das Quantum der Anwender nur in Ausnahmen von echtem Nutzen, ansonsten dagegen pure Zurschaustellung des eigenen Idealismus. Wie das vermeintliche Auto-Derivat mit dem Stern die meiste Zeit zu groß, zu ungelenk, zu ineffizient und im Wege stehend. Das muss nun gar keine Anspielung auf den öffentliche Raum vor Unverpacktladen und Reformhaus sein, wo heute bereits zahlreiche Käsebrote in Langarm Ringelshirt und Super Birkis – ganz nach G-Klasse Manier – mit Geltungsdrang und 26 Zoll Felgen, derbe am flexen ihre Realness demonstrieren. Es reicht durchaus bereits der Blick in den heimischen Geräteschuppen um einzuordnen, wie es um den Haussegen bestellt ist, wenn neben der selbst angesetzten Brennnessel-Jauche im 50 Liter Barriquekübel und dem angefangenen DIY Bienenhotel-Projekt auch der Dreirädrige Straßenkreuzer mit Anhänger ans Tageslicht gezerrt werden muss, bevor sich ein Glas fermentierter Grünkohl aus dem Wandregal bergen lässt. Bei präziserer Betrachtung werden, trotz aller Gemeinsamkeiten eines Urban Arrow Family Performance mit dem G65 AMG, auch entscheidende Unterschiede deutlich. Allen voran: Der Untertürkheimer SUV Urgroßvater aus Graz deckt, konträr zum Cargobike, den vollständigen Mobilitätsbedarf eines Haushaltes. Die Kettengetriebene Opulenz dagegen will nicht mal als Zweitfahrzeug wirklich tauglich erscheinen und muss sich als legitimes Drittfahrzeug demzufolge eher den Vergleich mit einem Ferrari Testarossa eingestehen. Ein Liebhaberstück für die besonderen Momente eben. Wo der Mittelmotor Exot aus der Emilia Romana seiner Genießerin Momente der Ekstase beim Duschbeschleunigen schenken kann, vermag das Lastenrad imstande zu sein, dem Freiluftromantiker Augenblicke größter Glückseligkeit zu bescheren, während er die Früchte seiner Lenden am sonnigen Homeoffice-Tag mit eigener Muskelkraft, bei sanfter Unterstützung leise surrender Triebkraft, gespeist aus modernen Lithium-Ionen-Akkus, zur Kita befördert. Darüber, ob die Verbrennung fossiler Kraftstoffe, eigens zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse, nun purem Egoismus entspringt oder der Transport schutzbedürftiger Menschen durch den urbanen Berufsverkehr, wenige Zentimeter über dem Asphalt in einer universalen Holzkiste, nun wirklich ein seriöses Konzept darstellt, lässt sich vermutlich intensiv diskutieren. Kaum abzustreiten hingegen ist die Tatsche, dass sich das Lastenrad ziemlich prägnant als Luxusgut relativ privilegierter Weißer Heterosexueller manifestiert, während der Testarossa nicht nur von Crockett sondern natürlich auch von Tubbs gefahren wird. Es stellt sich am Ende also nicht nur die Frage, ob es wirklich Sinn macht, die Neigung Einzelner von der Allgemeinheit mitfinanzieren zu lassen, sondern wie rassistisch und diskriminierend die Förderung der Lastenfahrräder am Ende tatsächlich ist.
Abschließend sei nun noch festzustellen, dass sich sowohl Michael Jordan, Dr. Dre oder Ulf Poschardt ihren Testarossa selbst erarbeitet haben und sich in der Hinsicht sicher nicht die Luftpumpe klauen lassen. In diesem Sinne. Habt Spaß beim Fahren.
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