Am Sonntag endete die 69. Internationale Automobil Ausstellung. Genauer die 1. IAA Mobility. Nach 70 Jahren Frankfurt am Main fand die berühmteste Automesse nun erstmals in München statt und präsentierte dabei ein völlig neues Konzept. Mit dem “Open Space“ brachte der VDA das Auto genau dort hin, wo es, der Stimmung meines Google Newsfeed und gängiger Twitter Blasen gemäß, mindestens das halbe Land gerne – besser gestern als heute – radikal rausgeschmissen hätte: Nämlich mitten in die Innenstadt. An zwölf zentralen Spots konnten die Besucher den Vorstellungen der Autobauer frönen. Doch nicht nur das. Wichtiger Bestandteil der Neuauslegung der IAA, welche fortan keine reine Automesse mehr sein möchte, sondern vielmehr das vitale Forum der Mobilität von morgen, ist die Einbindung verschiedener Fortbewegungskonzepte, inklusive des öffentlichen Nahverkehrs. Hatte man sich beim Meet and Greet mit all den Testimonials und Ambassadors erstmal so richtig nice ein paar Prosecco-Flötchen in den Bug geschraubt, bot sich die Gelegenheit beispielsweise mit der U2 oder optional auf der sogenannten “Blue Lane“ mittels Transferfahrt im E-Bus zum “Summit“ – also der Ausstellungsbasis auf dem Münchner Messegelände – zu surren.
Was sich auf den ersten Blick durchaus progressiv und zukunftsbejaend lesen mag, war jedoch in der Praxis allerhöchstens von mittelmäßigem Erfolg gekrönt. Blickt man auf die Besucherzahlen von 2019, weiß man, dass der Pandemiestatus keine wirkliche Erklärung für ausbleibende Gäste sein kann. Denn auch wenn man sich für die “Präsentation“ wirklich Gedanken gemacht hat, es krankt vor allem am Produkt. Auch wenn man beim Spiegel das Problem zu kennen glaubt und an unterrepräsentierten bezahlbaren Kleinwagen herumnörgelt und es bei der Frankfurter Allgemeinen gar an Fantasie fehlt, was eine Halle mit Oldtimer auf einer Automesse soll (autsch!) – liegt der Hund ganz wo anders begraben. Denn es bleiben nicht nur die Besucher aus, sondern zuvor bereits die Hersteller. Lieber Spiegel: wirklich kein Mensch interessiert sich auf der IAA dafür wie viel das Style Paket beim neuen Golf Variant in der Finanzierungsrate ausmacht. Das lässt sich Vati in Ruhe bei Auto Rutkowski zuhause in Castrop-Rauxel vorrechnen. Wo die Oldtimerhalle also noch einen kleinen Lichtblick darstellte, geht dem autoaffinen Messe-Flaneuer dieser Tage vor allem eines ab: Automobile Unvernunft. Materialisierte Träume in Lack und Leder. Magie und Illusion unerreichbarer Supersportler. Schillernde Extravaganz angebeteter Luxuslimousinen. Stattdessen schienen die Hallen zuvor nochmal ordentlich von Karl Lauterbach durchgekärchert worden zu sein. Von Aston Martin oder Rolls Royce keine Spur. Bugatti und Bentley? Abwesend. Ferrari, Lamborghini oder Jaguar? Sicherheitshalber nicht erschienen. Nicht einmal Elon Musk, der mit seinen Teslas die E-Mobilität vom schrulligen Nischenprodukt zum leuchtenden Lifestyle-Opus emporsteigen lies, buchte sich einen Stand. Zur allgemein gegenwärtigen Abwesenheit gesellt sich das latent verblühende Image des Automobils. Anders als die gesellschaftlich anerkannte Teilnahme an einer der Fahrraddemos durch München etwa, hat der Besuch des Messegelände etwas von dem verstohlenen und beschämten Gang auf das Zimmer von Sabina im Candy Club der Altstadt. Der bekennende Automobilist von heute ist unlängst zum Puffschleicher seiner Zeit verkommen. Praktizierende Omnivoren und heterosexuelle Männer folgen auf Tritt.
Was bleibt von der IAA sind, wie bereits im letzten Jahr, vor allem die Berichte über den wachsenden Widerstand, die organisierten Protestaktionen, sowie Eskalation und Polizeigewalt bei den Demonstrationen gegen die Ausstellung. Auf insgesamt 16 verschiedenen Fahrradtouren durch die Stadt vertraten Kinder, Jugendliche und Erwachsene friedlich und von der Polizei eskortiert, weitestgehend sturzfrei, ihre demokratische Meinung. Und gaben dabei eine kleine Aussicht auf die an diesen Tagen vielerorts zitierte "radikale Mobilitätswende" mittels "überfälliger Entmachtung des klimazerstörerischen Autokapitalismus": Die Stellenweise massiven Verkehrsbeeinträchtigungen blockierten jegliches Vorankommen in der Stadt. Mobilität? Quasi nicht vorhanden. Insgesamt etwa 10.000 pedalisierte Revolutionsführerinnen und Velo Che Guevaras bestätigte die Polizei auf den unterschiedlichen Routen. Auch wenn das Veranstalter-Bündnis aus ADFC, Attac, BUND, Campact, DUH, Greenpeace, NaturFreunde Deutschlands und VCD ursprünglich 40.000 erwartet hatte und später höchst bemüht 25.000 Teilnehmende angab. War damit die Protestaktion am Ende ähnlich erfolglos wie die IAA selbst?
Vermutlich nicht. Denn auch wenn die Messe mit 400.000 Laien-Michele Moutons und Hobby-Lewis Hamiltons immernoch ein vielfaches mehr an Auto-Enthusiasten als deren Gegner auf den Plan rufen konnte, waren die Besucherzahlen auf einem historischen Tief. Dem gravierendsten seit fast 90 Jahren und damit auf Vorkriegsniveau. Neben der muskel- und kettengetrieben Sternfahrt machten vor allem die Protestierenden des Mobilitätswende-Camps auf der Theresienwiese Schlagzeilen. Gruppierungen mit theatralischen Namen wie “Sand im Getriebe“ oder “Zucker im Tank“ (ja ernsthaft) riefen hier zum “Crash gegen die Klimakiller-Party“ auf. Umgesetzt wurde das unter Anderem mit Rauchbomben und Pyrotechnik, welche sie nicht wirklich zielsicher ausgeklügelt, dafür aber in aller Dramatik gegen eine Mobilitsmesse abfeuerten auf der 13 Automobil- und 70 Fahrradhersteller ihre größtenteils klimaneutralen Konzepte vorstellten. Doch damit der Kuriositäten nicht genug. Zwischen den Protestmärschen gab es im Basislager ein buntes Programm zur geistigen und körperlichen Erholung, welches sich auf der Homepage des Veranstalter-Teams, neben dem offenbar notwendigen Hinweis, möglichst nicht mit dem Auto oder dem Camper anzureisen, wie eine Sozialstudie von Thorsten Sträter ließt. Nachdem in der Packliste liebevoll an regelmäßig eingenommene Medikamente und die Zahnbürste erinnert wird, war zu erfahren wann man beispielsweise an der offenen Diskussion beim veganen Abendessen teilnehmen konnte und dass der Vortrag zur “queerfeministischen Verkehrswende“ sowie der Workshop “How to Baumhaus“ im Kinozelt stattfand. Das Zelt des Demokratischen Konföderalismus hingegen bot verschiedene “FLYNTA only“ Veranstaltungen. Hetero-Männer also ausgeschlossen. Die Tage schlossen regelmäßig mit den Programmpunkten “Mitternachtsyoga“ und “Protestschlafen“. Ob damit die Teebeutel-Stellung zwischen dem schlafenden Schwan am Abend und dem Sonnengruß am Morgen gemeint ist? Ich hoffe nicht. Auf den Podiumsdiskussionen und Vorträgen der Internationalität lebenden IAA hingegen wurde indes niemand ausgeschlossen. Ein Publikum aus über 95 Ländern darüber hinaus, bot ein deutlich bunteres Bild, sowohl als das der Fahrradcorsos, als auch das des Mobiltätswende-Camps. Ein Umstand den die Protest Veranstalter sicher längst reflektieren. Jenseits aller Systemwechsel-Esoterik bleibt ganz aktuell die Frage wie der Arbeitsweg gemeistert werden soll, wenn man sich nicht den Launen eines Claus Weselskys hoffnungslos ausliefern möchte. Denn obwohl die mit Abstand größte Mehrheit im Land an der Individualmobilität festhalten möchte, gibt es regelmäßig politische Zugeständnisse an deren Gegner. Ein Gedanke könnte sein sich künftig zur Schicht abzuseilen. Doch obwohl ein Seil klimaneutral, geräuschlos und platzsparend ist, könnte es bald Bündnisse geben die eine Notwendigkeit darin sehen es von Grund auf neu zu konzipieren oder es gar vollständig abzuschaffen. Vermutlich sprechen hier jedoch nur die vergessenen Medikamente aus mir. Ihr hofft es so sehr wie ich.
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