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AutorenbildSimon Wonka

Ein Weihnachtsmärchen

Aktualisiert: 26. Dez. 2023

Ein weiteres Kalenderjahr neigt sich dem Ende und läutet im harmonischen Einklang die schönsten Tage nach zwölf turbulenten Monaten ein. Nach erbitterter Keilerei zwischen Broterwerb und aufopferungsvollem Fiebern nach Anerkennung, triefen Chris Rea und George Michael mit vertrauter Behaglichkeit süß und ölig zurück in unsere Insta-Feeds, wo scheinbar jeder Porschefahrer sein Schätzchen, in einer offensichtlich nicht langweilig werdenden Pointe, als Christbaumtransporter instrumentalisiert. Es ist Weihnachten! Im Kühlschrank wartet ein monumentales Allerlei größtenteils darauf, nach den Feiertagen im Mondschein beschämt in der Restmülltonne verscharrt zu werden, während vom gerade wieder aufkommenden, alten Lied des Sozialschmarotzers konfrontierte Migranten in DHL und Hermes Transporter die meisten Zalando und Amazon Päckchen bereits ausgeliefert haben. Oder kurz gesagt: Eigentlich ist alles erledigt. Eigentlich. Denn für die beiden Feiertage stehen im Vorratsraum zwar zwölf Packungen Jacobs Krönung, ein Kaffeefilter hingegen ist weit und breit keiner zu sehen.Und bei genauerer Betrachtung, fanden sich für die 6 Kilo Verwöhnaroma auch nur dort der nötige Stauraum, wo im Idealfall stets genügend Rollen Hakle Sanft&Sicher ihr dezentes Kamillaroma verbreiten sollten. Doch noch ist nicht Ladenschluss. Sundaydriver lädt Euch ein zu drei Etagen Tiefgarage der vorstädtischen Einkaufsmeile. Festhalten!

 

Obwohl nun eigentlich jeder seine Erledigungen vollständig abgeschlossen haben müsste, hat sich überraschend eine relevante Schlange vor der Einfahrt in die Tiefgarage gebildet. Und während sich eine solche im Normalfall nach vorne bewegt, gehen bei sämtlichen Beteiligten unserer Geschichte in regelmäßiger Abwechslung kurzzeitig die Rückfahrlichter an, wobei sich der festliche Einkaufskorso langsam aber zielstrebig immer weiter von seinem Ziel entfernt. Nach der halben Folge eines beliebigen Laber-Podcast, mit einem Titel aus zwei wahllos aber total originell kombinierten Wörtern bestehend, gelingt nun endlich die Einfahrt. Oma Ursula hatte ihren Opel Mokka diagonal und in 48 Zügen in der ersten Abfahrt geparkt und sich erst nach engelsgleichem Hupkonzert und 62 weiteren Zügen zurück in Reih und Glied eingefädelt. Es kann also weiter gehen. Drei Meter. Hier schmeißt Onkel Werner nun den Anker, als wurde ihm soeben das neugeborene Christkind vor die Nieren seines BMW X1 geworfen. Tatsächlich ergeben eine Mischung aus fehlender Feinmotorik in orthopädischem Schuhwerk, ein erstklassiger Bremskraftverstärker und die Hoffnung auf einen freiwerdenden Parkplatz den abrupten Stopp. Oma Ursula fährt ungebremst auf. Eine Minute später. Onkel Werner merkt es nicht. Oma Ursula auch nicht. Weitere zehn Minuten später ist bereits bis mindestens in die Mitte der Schlange die Erkenntnis gereift, dass hier gerade kein Parkplatz frei wird, stattdessen jedoch einer belegt wurde. Onkel Werner wartet. Lisa, die scheinbar nur auf die Welt kam um immer und überall sofort eine freie Lücke zu finden, sitzt bei laufendem Motor in Ihrem Mini Cooper, frischt Eyeliner und Lipgloss auf, checkt ihre Mails und dreht spontan das Intro eines Weihnachts-Shopping Vlogs für ihre 12 Follower. Onkel Werner setzt den Blinker und wartet. Oma Ursula parkt im Lastenaufzug. Etwa zwölf Minuten nachdem Lisa ihren Mini verlassen hat, realisiert Onkel Werner, dass hier eventuell doch kein Parkplatz frei werden könnte. Der Vorgang wiederholt sich drei weitere Male. Dann wird tatsächlich ein Parkplatz frei. Onkel Werner und Oma Ursula fahren vorbei. Hier kommt uns nun der dauerhaft gut gelaunte Matze in seinem Tesla Modell 3 Richtung Ausgang entgegen, welcher der Fam auf dem Heimweg vom Office noch kurz ein paar Packungen Bio-Seitan Rouladen und ein Kilo Choi Sum zum roh wegsnacken abgechekt hat. So crazy hey, wie die Kids drauf abfahren. Geil, dass Kerstin das Zeug entdeckt hat. Mashalla! Und weil Matze auch als Teamleiter bei Bosch im Einkauf stets Straße geblieben ist, pumpt er das 2001 Album von Dre bis Anschlag. Natürlich rappt er jede Zeile mit. Als er voller Inbrunst das N-Wort droppt, wird er dabei gnadenlos von der schockierten Jana erwischt, die auf dem letzten freigewordenen Parkplatz gerade mit ihrem Lastenfahrrad das Weißeste überhaupt mögliche Fortbewegungsmittel abgestellt hat. Mit dem Göppel hat sie halt sonst nirgends Platz und das Parkhaus ist ja schließlich für alle da. Jana ist Erzieherin bei der Mohnstreusel-Bande, wo auch Noah und Hannah hingehen – Matze und Kerstins Kids. Jedenfalls kommen Matze die “Bitches“ nur noch halbherzig über die Lippen, während Jana beschließt sofort eine Rundmail zu schicken, um gleich im neuen Jahr zum Eltern-Kind Gefühlsaustausch zu laden und den Vorfall am runden Tisch mit Allen zu besprechen.

Es folgen ganze fünf Meter ohne Zwischenfälle. Oma Ursulas Bremslichter leuchten weiterhin durchgehend, während sie in Schrittgeschwindigkeit den Weg zurücklegt. Kurz vor der Abfahrt auf das zweite UG lädt ein LKW Fahrer Rotkohlköpfe und TK-Gänse ab. Onkel Werner schaltet die Scheibenwischer an. Oma Ursula parkt zunächst auf der Hebebühne. Irgendwann haben sie den LKW jedoch passiert. In der Abfahrt schlitzt sich Onkel Werner, beginnend am vorderen Kotflügel und hinten am Tankdeckel längst nicht endend, die gesamte rechte Seite auf, während er in Super-Slow-Mo, dafür aber bei Drehzahl 3500 die Haarnadel nach unten nimmt und dabei den Jahresabschluss von Herr Doderer aus der kleinen Ergo-Filliale am alten Postplatz gottlos zerfickt. Mitten auf der Fahrspur im zweiten UG stehen Renate und Erwin, die genau in diesem Moment beschließen, den Kassenbon ihrer 14 Kilo Metzgerei-Ausbeute – ausschließlich aus Aspik und Sülzprodukten bestehend – zu kontrollieren. Zwei Einzelhandel-Azubis mit Low-Taper-Fade und Amazon-Rolex versuchen unterdessen eine zwanzig Meter lange Einkaufswagenkette wieder unter Kontrolle zu bekommen, nachdem sie bereits mehrere Leasing SUV rasiert haben, und damit schon fast in die Region von Onkel Werners Schadenhöhe vorgedrungen sind. Herr Doderer regelt! Im dritten UG stehen Stefan und Maike kurz vor ihrer Trennung, weil sich Stefan lieber zwei vertrocknete Corndon Bleu, die vier Stunden in der lauwarmen “heißen Theke“ reiften, in den Schlund gezimmert hat, obwohl Maike heute die Sellerie-Schnitzel aus Monis Fitness Blog nachkochen wollte. Oma Ursula hat inzwischen vergessen wo sie ist und folgt dem Ausfahrt-Schild. Zeitgleich verlässt bei Kilometerstand 12.453 Onkel Werners Kupplung das Reich der Lebenden. Onkel Werner schaltet die Scheibenwischer aus. Nach fast drei Stunden unnötigem Superstau gibt es also zehn Minuten vor Ladenschluss, mitten im dritten UG absolut kein Vor und Zurück mehr. Spätestens jetzt würde jede KI für Autonomes Fahren die Menschheit sich selbst überlassen und resigniert den Selbstzerstörungsmodus aktivieren.

Feliz Navidad!

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